Bericht von Sabine Feyen
Wie ein Atompilz türmt sich eine riesige Rauchwolke in nur wenigen hundert Metern Entfernung vor ihnen auf. Hilflos müssen Halyna Moskalenko, stellvertretende Bürgermeisterin von Kanew, und ihr Team zusehen, welche Schäden der Einschlag einer Rakete dicht neben der Autobahn verursacht. Sie selbst bleiben unverletzt – kommen heil mit ihrer kostbaren Fracht wieder in Kanew an. Diesmal.
Rückblick:
Es ist Sonntagmittag, in Viersen knallt die Sonne, es ist heiß.
Hochmotiviert klettern Feuerwehrchef Frank Kersbaum und der ehemalige Unternehmer Heinzdieter Scholz in die Führerhäuser zweier älterer Löschfahrzeuge. Zusammen mit einem nagelneuen Sprinter sollen die Fahrzeuge nach Lwiw überführt werden- 60 Kilometer hinter der ukrainischen Grenze. Dort übernimmt eine Crew aus Kanew die Fahrzeuge und bringt sie in ihre 650 Kilometer entfernte Heimat – SELBST nach Kanew zu fahren, ist zur Zeit zu gefährlich. Das Projekt wurde möglich, weil die Stadt Viersen, der Verein „Freunde von Kanew“ und ein privater Geldgeber unbürokratisch zusammengearbeitet und gespendet haben, dazu kam ein kräftiger Betrag aus Bundesmitteln.
Als es losgeht, liegen knapp 1500 Kilometer Fahrt vor den insgesamt sieben Teilnehmern der Fahrt.
Valerij Eske steuert ein viertes Fahrzeug, das die Truppe zurückbringen soll. Der städtische Mitarbeiter und Geschäftsführer des Vereins spricht ukrainisch, russisch, ein bisschen polnisch und hat sich schon im Vorfeld, wie schon häufig, um die Bürokratie eines solchen Unterfangens gekümmert: Zulassungspapiere, Ausfuhr- und Zollunterlagen, Reisepässe, alles muss stimmen, die Grenzer sind streng.
Die ersten Stunden verlaufen reibungslos – obwohl die Fahrt mit den Löschfahrzeugen mühsam ist: Klimaanlagen gibt es nicht – bei offenem Fenster ist es ohrenbetäubend laut.
Dann ein dicker Stau – Vollsperrung – die Zeit läuft davon.
Um Mitternacht – in Höhe der deutsch/polnischen Grenze wird eine Schlafpause eingelegt – vier Stunden gibt man sich: auf dem harten Boden der Fahrzeuge kein Spaß.
Doch die Strapazen nehmen die Helfer gerne auf sich:
Frank Kersbaum: „Wenn man einmal da war, die Not gesehen hat, weiß man, wie wichtig die Hilfe ist – und dass sie an der richtigen Stelle ankommt.“
Kanew liegt rund 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew. Schon lange geht es der Region schlecht. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln ist zwar sichergestellt, doch es fehlt an vielem. Seit dem Angriffskrieg Russlands hat sich die Lage dramatisch verschärft: wichtige Infrastruktur ist zerstört, es fehlen Ersatzteile, Medikamente, alle möglichen Dinge des täglichen Lebens. Vieles geht an die Front, fehlt den Menschen vor Ort. Und das, obwohl sich die kleine Stadt auch noch um 4000 Flüchtlinge kümmert, die aus den Frontregionen hierher geflohen sind. Mit großem Engagement helfen die Viersener seit Jahren – in den letzten drei Jahren sind dutzende Hilfstransporte hierhergekommen – allein 13 dringend benötigte Fahrzeuge wurden überführt. Weil die Hilfsbereitschaft groß ist – auch diesmal.
Bei Sonnenaufgang geht es weiter. Dann kommt die polnisch-ukrainische Grenze. Jetzt heißt es warten, die ukrainischen Beamten machen es den Helfern schwer: hier fehlt ein Stempel, die Löschfahrzeuge müssen geröntgt werden, immer wieder neue Fragen und Anforderungen. Es wird schwer, geduldig zu bleiben – man will doch nur helfen.
Drei Stunden dauert die Prozedur, dann geht es endlich weiter.
Montagabend 20 Uhr – nach mehr als 30 Stunden kräftezehrender Fahrt endlich Ankunft in Lwiw. Es ist ein lauer Sommerabend in dieser wunderschönen Stadt, Straßen und Cafés sind voll, dabei hat es auch hier, im äußersten Westen des Landes, zwei Nächte zuvor Luftalarm und Einschläge gegeben. Doch die Menschen, weit weg von der Front, versuchen ihr Leben so normal wie möglich weiterzuleben.
Den verabredeten Parkplatz, wo der Konvoi über Nacht sicher stehen könnte, sucht man vergebens – was nun?
Valerij sucht eine Polizeistation und findet Hilfe. Reihum werden Feuerwehrstationen in der Umgebung abtelefoniert, schließlich erklärt sich eine Einheit bereit, die Fahrzeuge aufzunehmen. Mit Blaulicht gibt es Geleit durch die Stadt – die Fahrzeuge werden geparkt – endlich Feierabend – ab ins Hotel.
Am nächsten Morgen meldet sich die Delegation aus Kanew: um 5 Uhr ist man dort aufgebrochen, um 14 Uhr ist Treffen an den Fahrzeugen.
Das Aufeinandertreffen ist mehr als herzlich, auf beiden Seiten.
Für die einen ist es ein Wiedersehen, für andere ein Kennenlernen.
Die Fahrzeuge werden offiziell übergeben – Feuerwehrleute aus Kanew sind mitgekommen, ihnen wird genau erklärt, was wie funktioniert und gehandhabt werden muss.
Dann ist die Mission eigentlich offiziell erfüllt, doch die Kanewer wollen ihre Dankbarkeit zeigen: es geht in ein ukrainisches Restaurant, man isst, trinkt- die Anspannung fällt langsam ab.
Walentina Hrebeniuk, Vorsitzende des deutsch-Kanewer Vereins erzählt:
„Es tut so gut, mal einen Tag Frieden zu erleben, schlafen zu können, ohne Luftalarm. Wir sind mittlerweile Experten darin zu unterscheiden: kommen da Drohnen, Raketen, Artillerie – fliegen sie über uns hinweg oder schlagen sie gleich ein. Es ist der reinste Psychoterror.“
Die stellvertretende Bürgermeisterin pflichtet ihr bei:
„Früher trugen die Drohnen 50 Kilo Sprengstoff, heute sind es 90. Fallen sie in den Fluss Dnepr, haben wir Glück – fallen sie in den Wald, brechen riesige Feuer aus.“
Da werden die Löschfahrzeuge aus Viersen dringend gebraucht.
Am nächsten Morgen ist Aufbruch, für beide Teams:
Vor den Viersenern liegt wieder eine anstrengende Heimreise, die sie aber mit dem sicheren Gefühl antreten, das Richtige zu tun. Ute Feyen, Vorstandsmitglied „Freunde von Kanew“: „Ich war das erste Mal in der Ukraine und diese Erfahrung hat mir hautnah gezeigt, wie wichtig die Arbeit unseres Vereins ist.“
Für die Kanewer, deren Heimfahrt durch den Anschlag, dem sie knapp entkommen, zum Horrortrip wird, geht der Alptraum weiter, Tag für Tag.

Bürgermeisterin Sabine Anemüller und die stell. Vorsitzende des Vereins „Freunde von Kanew“, Klara Leiterer, verabschieden die Crew, die sich nach Lwiw aufmacht:
vl.n.r.: Valerij Eske, Sabine Feyen, Heinzdieter Scholz, Sabine Anemüller, Klara Leiterer, Dominic Leiterer, Ute Feyen, Ulf Kleczka, Frank Kersbaum

Die Fahrzeuge für Kanew rollen vom Hof der Viersener Feuerwache – Aufbruch ins Ungewisse

Tankstop in Polen

Feuerwehrchef Frank Kersbaum am Steuer eines der beiden Löschfahrzeuge

Feierliche Übergabe der Fahrzeuge in Lwiw: v.l.n.r:
Alina Kozlova vom Staatlichen Katastrophenschutz, Halyna Moskalenko, Dominic Leiterer (Fahrer), Heinzdieter Scholz, Frank Kersbaum, Ulf Kleczka (Fahrer), Ute Feyen, Walentina Hrebeniuka, Valerij Eske, Oleksander Owcherenko (Fahrer)

Einweisung in Technik und Funktionen der Fahrzeuge

Der Krieg ist allgegenwärtig: Hinweisschild auf den Luftschutzkeller im Hotel in Lwiw

Lange Schlangen an der ukrainisch/polnischen Grenze

Auch die polnischen Grenzer sind streng: Gepäckkontrolle bei der Heimreise

Schockmoment für die Delegation aus Kanew bei der Heimreise: Explosionen direkt neben der Autobahn



















